Bedienungsanleitungen vor 100 Jahren

Oder: Wie man einen Aktenordner benutzt

von Silvia Schulte
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Foto: Silvia Schulte

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Das gute Stück hat mindestens 120 Jahre auf dem Buckel. Auf den Rücken des Aktenordners sind die Jahreszahlen „190_ bis 190_“ aufgedruckt, die Verwendung war also für das erste Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts gedacht. Dafür hat sich der Papp-Ordner erstaunlich gut gehalten. Schlägt man den Deckel auf, findet man auf der Innenseite eingeklebt die „Rathschläge für die Benutzung von Briefordnern“ – ein wenig vergilbt, aber durchaus in akzeptablem Zustand. Was die Haltbarkeit und Verfügbarkeit der gewählten Medien für die Dauer des Produktlebens angeht, gibt es also nichts zu meckern.

Kommen wir zum Aufbau der Anleitung. In einem ersten Absatz werden das Produkt und seine wesentlichen Funktionen sowie die bestimmungsgemäße Verwendung beschrieben.

Werden mehrere Ordner zur gleichen Zeit benutzt, so wird das Alphabet auf dieselben vertheilt, und die einzelnen Buchstaben werden mit Unterabtheilungen versehen, wie zum Beispiel Ba, Be u.s.w., wodurch ein noch schnelleres Auffinden der Briefschaften möglich ist.

Es folgt eine grafische Darstellung des „Briefordners in geöffnetem Zustande“. Auch die Zubehörteile „Spanner“ und „Locher“ werden abgebildet. Für eine Kurzanleitung ist also bisher alles einwandfrei.

Die eigentliche „Gebrauchs-Anweisung“ macht den Nutzer in Form einer klassischen Schritt-für-Schritt-Anleitung mit der Handhabung des Produkts vertraut. Einziger Minuspunkt hier ist die fehlende Nummerierung der Handlungsschritte.

Um die Briefschaften einordnen zu können, versieht man dieselben zunächst mit 2 Löchern. Man bedient sich hierzu eines zum vorliegenden Briefordner gehörigen und vorstehend abgebildeten Lochers oder eines anderen Lochers, welcher ebenfalls eine Lochentfernung von 8 resp. 7 cm hat. 
Was die Informationstiefe angeht, wird hier für die Bedürfnisse einer Zielgruppe geschrieben, die mit dem Produkt noch keine Berührung hatte. 
Hierauf löst man mit der rechten Hand den Spanner, schlägt alsdann den betreffenden Buchstaben des einzuordnenden Schriftstückes im Register auf und schiebt die gesammten darüberliegenden Registerblätter auf die beweglichen Bügel nach links. Man öffnet sodann den Apparat durch seitlichen Druck auf den Sperrhebel und legt das betreffende Schriftstück hinein.

Da bleiben doch wirklich keine Fragen mehr offen. So sollte eine verständliche Anleitung aussehen! Wären nicht die drollige Rechtschreibung aus der Kaiserzeit und die überlangen Schachtelsätze, wäre für die „Rathschläge zur Benutzung von Briefordnern“ bestimmt eine Nominierung für den tekom-Dokupreis drin. 

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