Die Textstruktur hilft beim Verstehen

Wie Modelle aus der Gedächtnisforschung die Technische Doku beeinflussen

von Silvia Schulte
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Foto: www.pexels.com/Kaushal Moradiya

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Wie lange brauchen Sie, bis Sie auf einer Nudelpackung die empfohlene Garzeit entdeckt haben? Oder das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Käseschachtel? Jede Wette, die meisten von uns schaffen es nicht unter 30 Sekunden. Ginge es um eine sicherheitsrelevante Information, die zuverlässig schnell gefunden und erfasst werden muss, wäre das zu viel.

Woran liegt es, dass wichtige Informationen übersehen werden? Um das zu beleuchten, muss man wissen, wie das menschliche Gehirn funktioniert.

Eine Erklärung für die Prozesse bei der Informationsverarbeitung und -speicherung und der Erinnerungsbildung beim Menschen liefert das sogenannte „Drei-Speicher-Modell“. Es wurde 1968 von den Psychologen Richard C. Atkinson und Richard M. Shiffrin vorgeschlagen. Dem Modell nach lässt sich das Gedächtnis in drei Subsysteme einteilen:

  • Sensorisches Gedächtnis: flüchtiger Speicher für sensorische Informationen
  • Kurzzeitgedächtnis: Speichersystem mit begrenzter Kapazität zur Zwischenspeicherung
  • Langzeitgedächtnis: unbegrenzt aufnahmefähiger und zeitüberdauernder Speicher

Die vielfältigen Aufgaben, die das Kurzzeitgedächtnis bewältigt, werden mit dem Konzept des Arbeitsgedächtnisses, das von Alan Baddeley und Graham J. Hitch vorgeschlagen wurde, differenzierter beschrieben. Im Arbeitsgedächtnis werden demnach die aufgenommenen Informationen analysiert, mit vorhandenen Erinnerungen abgeglichen und mit aktiviertem Vorwissen aus dem Langzeitgedächtnis verknüpft. Darin liegt der Schlüssel zum Textverstehen.

Vorwissen ansprechen

Aufgrund seiner begrenzten Kapazität kann das Arbeitsgedächtnis nur eine begrenzte Anzahl von Informationseinheiten behalten, und das auch nur für wenige Sekunden, wenn die Informationen nicht aktiv wiederholt werden. Damit Inhalte gut aufgenommen und verstanden werden, muss ihr Inhalt also zum Vorwissen der Zielgruppe passen, also aktives Vorwissen in deren Langzeitgedächtnis ansprechen. Gleichzeitig sollte es schnell und leicht möglich sein, die sprachliche Information zu dekodieren. Hier kommen die Regeln für verständliches Schreiben ins Spiel.

Eine Aussage – ein Satz: Um den Arbeitsspeicher zu entlasten, sollte jede Informationseinheit für sich abgeschlossen werden.

Subjekt – Prädikat – Objekt: Ein wiederkehrender Satzbau knüpft an bekannte Muster im Langzeitgedächtnis an und ermöglicht ein „Vorsortieren“ der im Satz transportierten Information.

Visualisierung: Grafische Darstellungen helfen, Informationen besser zu verstehen und zu speichern. Ein einheitlicher Stil (z. B. immer gleicher Blickwinkel) entlastet auch hier den Arbeitsspeicher und ermöglicht schnelles Wiedererkennen und Einordnen der Information.

Erkenntnisse über die Prozesse der Informationsverarbeitung im Gehirn sind auch in gängige Standardisierungs- und Strukturierungsmethoden eingeflossen, die heute zum Handwerkszeug von Technischen Redakteurinnen und Redakteuren gehören. Denn Fakt ist: Je einheitlicher und konsistenter ein Inhalt dargeboten wird, desto verständlicher und schneller kann man ihn aufnehmen. Das gilt nicht nur für Sicherheitshinweise.

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