Wenn Technik alles besser weiß
Die systemgesteuerte Lenkung des Nutzerverhaltens birgt Vor- und Nachteile
„Wissen Sie schon, welches schlaue Feature hinter diesem Button steckt?“ „Starten Sie Ihr System jetzt neu!“ „Sie haben Druckerpatronen eingesetzt, die nicht vom Hersteller stammen. Setzen Sie Druckerpatronen vom Hersteller ein, um mit dem Drucken fortzufahren!“ Wie viele Male am Tag werden wir beim Bedienen unserer Tools am Laptop mit solchen Meldungen gegängelt. Es sind virtuelle Schmeißfliegen, die einem permanent um die Nase schwirren; sie stören, sie lenken ab, sie behindern die Arbeit.
Der Fachbegriff dafür lautet „Technikpaternalismus“. Er bezeichnet technische Systeme und Algorithmen, die das Verhalten von Nutzern in eine bestimmte Richtung lenken und selbstbestimmte Entscheidungen teilweise einschränken – eine systemintegrierte Bevormundung also.
Die Tendenz zur Verwendung solcher Mechanismen steigt rasant an. Ein guter Grund, dem Trend zum Technikpaternalismus in diesem Jahr bei den „Big Brother Awards“ eine der Prämierungen zu verleihen: (https://bigbrotherawards.de/2024/technikpaternalismus).
Doch ist die „eingebaute Benutzermanipulation“ immer etwas Negatives? Für Technische Redakteure ist ein gewisses Maß an Besserwisserei schließlich das tägliche Brot: „Machen Sie dies, lassen Sie jenes. Finger weg – Gefahr!“. Betriebs- und Bedienungsanleitungen belehren und lenken das Nutzerverhalten, damit die gefahrlose Verwendung eines Produkts möglich ist. Nicht ohne Grund ist diese Instruktionspflicht gesetzlich verankert.
Das gleiche gilt für das Implementieren von Sicherheitseinrichtungen, die unerwünschtes, gefährliches Nutzerverhalten verhindern – etwa eine Lichtschranke, die beim Hindurchgreifen die Bewegungen der Maschine stoppt. Natürlich wird auch dadurch die Handlungsautonomie des Nutzers eingeschränkt, aber vor allem wird eine konkrete Gefahr abgewendet. Ohne Warnungen, Handlungsempfehlungen oder konkrete Einschränkungen im Dienst der Sicherheit ist die gefahrlose Benutzung eines Geräts oder einer Maschine nicht denkbar.
Wann beginnt eine Systemfunktion manipulativ oder übergriffig zu werden? Dass der Gurtwarner kurz piepst, wenn Autoinsassen nicht angeschnallt sind, wird von der Mehrheit der Nutzer vermutlich akzeptiert, eine hartnäckige Dauerbeschallung schon weniger. Wenn jedoch das Auto ohne gesteckten Gurt gar nicht erst losfährt, ist für die meisten die Grenze überschritten. Bei digitalen Produkten scheint die Toleranzschwelle höher zu sein. Wer hinterfragt noch, ob, wann und warum bei Software XY im Hintergrund gerade wieder ein Update läuft oder welche Eigenschaften die frisch aktualisierte Smartphone-App hinzugewonnen oder verloren hat.
Wie viele Aufgaben wir künftig der Technik überlassen und wie viele unserer eigenen Fähigkeiten wir dieser unterordnen und möglicherweise sogar verlieren, ist im Zeitalter von KI eine spannende Frage. Welche Meinung haben Sie dazu? Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns – wir freuen uns auf Ihren Kommentar.
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